Verbindung als Schlüssel: Ein Gespräch mit Gerald Hüther

Bild © Gerald Hüther
Verbindung – ein Begriff, der oft selbstverständlich erscheint, aber in unserer heutigen Welt immer schwerer zu greifen ist. Sei es in Unternehmen, in Teams oder im persönlichen Leben: Wahre Verbindung geht über oberflächliche Beziehungen hinaus. Doch wie entsteht sie wirklich? Und warum ist sie so entscheidend für unsere persönliche und berufliche Entwicklung?
In einem inspirierenden Gespräch mit dem Neurobiologen Prof. Dr. Gerald Hüther ging es genau um diese Fragen. Er erklärt, warum Verbindung keine bloße Strategie ist, sondern ein tief verankertes menschliches Bedürfnis – und warum sie nur entsteht, wenn echtes Interesse am Gegenüber vorhanden ist. Besonders spannend: Seine Sicht darauf, warum Unternehmen nicht nur Ziele verfolgen, sondern ein gemeinsames Anliegen brauchen, um wirklich erfolgreich zu sein.
Dieser Blogartikel fasst die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Gespräch zusammen und zeigt, was Verbindung im tiefsten Sinne bedeutet – und wie sie unsere Art zu arbeiten und zu leben verändern kann.
Video zum Interview mit Gerald Hüther
Das folgende Video zeigt das vollständige Gespräch mit Gerald Hüther. Darin geht es um die Bedeutung von Verbindung, Potenzialentfaltung und gemeinschaftliche Entwicklung. Der Blogartikel greift dann zentrale Themen aus dem Interview auf und vertieft sie weiter.
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Verbindung als Grundbedürfnis – Warum wir sie brauchen
Verbindung ist kein Luxus, sondern eine fundamentale Voraussetzung für unsere persönliche und berufliche Entwicklung. Bereits bei unserer Geburt sind wir auf Beziehung und Verbundenheit angewiesen, um zu wachsen und zu lernen. Doch was bedeutet echte Verbindung wirklich? Gerald Hüther beschreibt sie als einen Zustand, in dem Menschen sich gesehen, ernst genommen und wahrgenommen fühlen – ganz ohne Bedingungen.
Verbindung braucht echte Begegnung
Ein zentraler Punkt in unserem Gespräch war die Frage, warum es in vielen Bereichen unseres Lebens – ob privat oder beruflich – so schwerfällt, echte Verbindung zu erleben. Oft scheitert sie daran, dass wir anderen nicht mit offenem Interesse begegnen. Stattdessen sind wir mit unseren eigenen Erwartungen, Zielen und Vorstellungen beschäftigt.
Besonders in Unternehmen zeigt sich dieses Muster deutlich: Mitarbeitende werden an Leistung und Effizienz gemessen, aber selten wird wirklich Raum für eine gemeinsame Entwicklung geschaffen. Hüther betont, dass Verbindung nicht durch Kontrolle oder Anweisungen entsteht, sondern durch die Möglichkeit, sich als Person ernst genommen zu fühlen. Und das beginnt mit etwas scheinbar Einfachem, das dennoch oft übersehen wird: dem aufmerksamen Zuhören und echten Interesse an der Perspektive des anderen.
Von Bedürftigkeit zu echter Begegnung
Warum fällt es uns oft schwer, uns wirklich mit anderen zu verbinden? Eine Antwort liegt in unserer eigenen inneren Bedürftigkeit. Wer sich selbst nicht genug ist, braucht andere, um Anerkennung, Bestätigung oder Kontrolle zu erlangen. Doch das führt nicht zu echter Verbindung, sondern zu Abhängigkeiten und Machtgefällen.
Hüther beschreibt es so: „Verbindung ist keine Strategie, sondern eine Haltung. Sie kann nur entstehen, wenn Menschen sich mit sich selbst verbunden fühlen – erst dann können sie eine echte Beziehung zu anderen eingehen.“
Daher ist die wichtigste Grundlage für Verbindung nicht nur das Interesse am anderen, sondern auch die eigene innere Klarheit. Wer weiß, was ihm selbst wichtig ist, kann sich anderen ohne versteckte Absichten zuwenden.
Ein neues Verständnis von Verbindung
Hüthers Sichtweise macht deutlich: Verbindung ist mehr als ein Gefühl. Sie ist eine Grundlage für Entwicklung, eine Haltung des unbedingten Interesses und ein Raum, in dem Menschen sich frei entfalten können. Nicht umsonst spricht Hüther bei dem Wort “Verbindung” lieber von Potenzialentfaltung.
Verbindung in Unternehmen – Mehr als bloßer Zusammenhalt
Verbindung ist nicht nur ein persönliches Grundbedürfnis – sie ist auch essenziell für erfolgreiche Zusammenarbeit in Unternehmen. Doch in vielen Organisationen wird Verbundenheit oft mit bloßem Zusammenhalt verwechselt. Ein Team, das gemeinsam an Projekten arbeitet oder sich gut versteht, ist noch lange keine echte Gemeinschaft. Vielmehr geht es darum, eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung zu schaffen, in der Menschen sich nicht als Mittel zum Zweck sehen, sondern als Mitgestalter eines gemeinsamen Anliegens.
Warum reine Zusammenarbeit nicht ausreicht
In vielen Unternehmen bestehen enge Strukturen und klare Hierarchien. Doch nur, weil Menschen täglich miteinander arbeiten, bedeutet das nicht automatisch, dass sie wirklich verbunden sind. Häufig sind es eher Zweckgemeinschaften, die auf gemeinsame Ziele ausgerichtet sind – doch was passiert, wenn das Ziel erreicht ist? Verbindung kann nicht an äußeren Vorgaben oder Jahreszielen festgemacht werden, sondern entsteht, wenn Menschen ein tieferes gemeinsames Anliegen teilen.
Gerald Hüther betont: „Ein gemeinsames Anliegen geht über das reine Erreichen von Zielen hinaus. Es stiftet Sinn, gibt Orientierung und schafft eine Grundlage für echte Co-Kreation.“
Das Council-Prinzip: Ein Raum für echte Verbindung
In vielen traditionellen Unternehmensstrukturen fehlt ein geschützter Raum, in dem Mitarbeitende sich authentisch austauschen können – ohne Bewertung, ohne direkten Leistungsdruck. Genau hier setzt das Council-Prinzip an, das in unterschiedlichen Formen praktiziert wird, zum Beispiel im Unternehmer-Council.
Ein Council ist mehr als ein Meeting oder ein klassischer Austausch. Es ist ein strukturiertes, ritualisiertes Format, das Raum für echte Begegnung schafft. Dabei geht es nicht darum, Strategien zu optimieren oder Probleme zu lösen, sondern darum, sich als Mensch in der Gemeinschaft wahrzunehmen.
🔹 Keine Hierarchien: Jeder ist gleichberechtigt, jeder hat eine Stimme.
🔹 Keine vorschnellen Lösungen: Das Ziel ist nicht, Probleme sofort zu lösen, sondern neue Perspektiven zu gewinnen.
🔹 Keine Bewertung: Es wird nicht kommentiert, nicht kritisiert – stattdessen entsteht eine tiefere Art des Zuhörens und Verstehens.
Dieses Prinzip ist entscheidend, weil viele Menschen in Unternehmen nicht mehr gewohnt sind, sich auf diese Weise zu begegnen. Oft fehlen die Gelegenheiten für offene Gespräche, in denen man nicht in Rollen als Vorgesetzter, Mitarbeiter oder Fachexperte schlüpft, sondern einfach als Mensch spricht.
Vom funktionalen Team zur lebendigen Gemeinschaft
Hüther macht deutlich: Ein Unternehmen wird erst dann wirklich lebendig, wenn es über reine Effizienz- und Zielorientierung hinausgeht und eine echte Kultur der Verbindung schafft. Das bedeutet nicht, dass wirtschaftliche Ergebnisse unwichtig sind – aber sie können nur dann nachhaltig sein, wenn sie auf einem stabilen Fundament aus Vertrauen und Gemeinschaft basieren.
Wer in seinem Unternehmen eine tiefere Form der Zusammenarbeit etablieren will, sollte sich die Frage stellen:
- Gibt es bei uns einen Raum, in dem Menschen sich offen begegnen können?
- Dürfen Mitarbeitende sich mit all ihren Gedanken und Perspektiven einbringen?
- Haben wir ein gemeinsames Anliegen – oder nur ein Ziel?
Unternehmen, die sich diesen Fragen stellen, haben die Möglichkeit, eine neue Art der Verbindung zu schaffen – eine, die langfristig trägt und nicht nur an kurzfristigen Erfolgen gemessen wird.
Von Zielen zu Anliegen
Viele Unternehmen definieren sich über ihre Ziele: Wachstum steigern, Marktanteile erhöhen, Effizienz verbessern. Doch Gerald Hüther macht in unserem Gespräch einen entscheidenden Punkt: Ziele allein schaffen keine Verbindung. Sie sind oft kurzfristig, klar definiert und haben einen Endpunkt. Doch was passiert, wenn ein Ziel erreicht wurde? Ohne ein tieferes gemeinsames Anliegen zerfällt die Gemeinschaft meist wieder.
Der Unterschied zwischen einem Ziel und einem Anliegen
Ein Ziel ist ein klar messbares Ergebnis, das erreicht werden soll. Es ist rational, logisch und häufig auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet.
Ein Anliegen hingegen ist tiefer verwurzelt. Es ist kein Endpunkt, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der Sinn stiftet und Orientierung gibt.
Beispiel Ziel: „Wir wollen unseren Umsatz im nächsten Jahr um 15 % steigern.“
Beispiel Anliegen: „Wir wollen Produkte schaffen, die Menschen dabei unterstützen, ihr Leben sinnvoller und erfüllter zu gestalten.“
Hüther betont: „Ein Anliegen gibt einer Gemeinschaft Halt. Es ist das unsichtbare Band, das sie zusammenhält – selbst dann, wenn äußere Umstände sich verändern.“
Warum Anliegen Verbindung schaffen
Wenn Menschen nur für kurzfristige Ziele arbeiten, verlieren sie oft den emotionalen Bezug zu ihrer Arbeit. Sie tun Dinge, weil sie „müssen“ oder weil es erwartet wird. Das kann kurzfristig funktionieren – aber auf lange Sicht führt es zu Entfremdung, Demotivation und einem Gefühl der inneren Leere.
Ein gemeinsames Anliegen dagegen verbindet, weil es auf einer tieferen Ebene Sinn vermittelt. Es ermöglicht Menschen, sich nicht nur als Funktionsträger, sondern als Teil einer sinnvollen Bewegung zu sehen. Hüther spricht hier von der Kopplung kognitiver und emotionaler Netzwerke im Gehirn – wenn wir etwas nicht nur „verstehen“, sondern auch „fühlen“, entsteht eine nachhaltige Motivation.
Wie Unternehmen ihr Anliegen finden können
Viele Organisationen versuchen, Verbindung zu schaffen, indem sie Purpose-Statements formulieren oder Visionen aufschreiben. Doch Hüther weist darauf hin, dass echte Anliegen nicht einfach konstruiert werden können – sie müssen gefunden und erlebt werden.
Ein paar Fragen, die helfen können:
🔹 Warum gibt es unser Unternehmen wirklich – jenseits von wirtschaftlichen Interessen?
🔹 Was treibt uns an, auch wenn es keine direkten Vorgaben gibt?
🔹 Woran würden wir auch dann weiterarbeiten, wenn niemand zusieht?
Unternehmen, die sich diesen Fragen stellen, haben eine größere Chance, eine nachhaltige Kultur der Verbindung aufzubauen – eine, die nicht von äußeren Faktoren abhängig ist, sondern aus einer tiefen gemeinsamen Überzeugung wächst.
Hindernisse auf dem Weg zur Verbindung – Angst als Gegenspieler
Wenn Verbindung so essenziell für Wachstum und Entwicklung ist, warum tun sich dann so viele Menschen und Unternehmen schwer damit? Gerald Hüther macht in unserem Gespräch deutlich: Der größte Gegenspieler von Verbindung ist Angst.
Angst als Blockade für echte Verbindung
In einer Welt, die von Leistungsdruck, Konkurrenz und Unsicherheit geprägt ist, haben viele Menschen verlernt, sich wirklich zu öffnen. Wer Angst hat, macht dicht. Das betrifft sowohl Einzelpersonen als auch Teams und ganze Organisationen.
- Mitarbeitende, die Angst haben, Fehler zu machen, wagen es nicht, offen über Herausforderungen zu sprechen.
- Führungskräfte, die Angst vor Kontrollverlust haben, verhindern echte Partizipation.
- Unternehmen, die Angst vor Veränderung haben, halten an alten Strukturen fest – selbst wenn diese längst nicht mehr funktionieren.
Diese Mechanismen führen dazu, dass Verbindung kaum entstehen kann. Statt Offenheit gibt es Rückzug, statt Vertrauen Kontrolle, statt Zusammenarbeit Konkurrenz.
Verbindung braucht Sicherheit – jenseits von Kontrolle
Gerald Hüther beschreibt, dass das menschliche Gehirn darauf ausgelegt ist, sich zu öffnen, wenn ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit vorhanden ist. Doch genau das fehlt in vielen Unternehmen.
- Sicherheit wird oft mit Kontrolle verwechselt. Doch Kontrolle schafft keine echte Verbindung, sondern oft nur Anpassung und Oberflächlichkeit.
- Zugehörigkeit wird mit Gruppenzwang verwechselt. Doch wahre Verbindung kann nur freiwillig entstehen – nicht durch Druck oder starre Strukturen.
Stattdessen braucht es Räume, in denen Menschen sein dürfen, ohne ständig bewertet oder optimiert zu werden. Hüther nennt es die Einladung zur Verbindung: Ein Umfeld, in dem Menschen sich freiwillig öffnen können, weil sie sich sicher fühlen.
Wie Unternehmen Angst abbauen können
Wer in einem Unternehmen echte Verbindung etablieren will, muss sich bewusst mit der Frage beschäftigen: Welche Ängste verhindern Offenheit und Zusammenarbeit?
Einige Ansätze, um dies zu verändern:
Fehlerkultur neu denken: Fehler nicht als Makel sehen, sondern als Lernmöglichkeiten.
Wertfreie Räume schaffen: Meetings oder Councils, in denen Menschen ohne Bewertung sprechen dürfen.
Hierarchien aufweichen: Verbindung entsteht nicht durch Macht, sondern durch Begegnung auf Augenhöhe.
Emotionen zulassen: Menschen bringen nicht nur Fachwissen mit, sondern auch Gefühle – und die dürfen im Arbeitsalltag Raum haben.
Erst wenn Angst abnimmt, kann Verbindung wachsen. Und mit ihr das Potenzial für echte Innovation, Zusammenarbeit und nachhaltigen Erfolg.
Fazit: Einladung zur Verbundenheit
Verbindung ist weit mehr als ein Konzept – sie ist ein tiefes menschliches Bedürfnis, das unser persönliches Wachstum, unsere Zusammenarbeit und unser gemeinsames Wirken in Unternehmen prägt. Gerald Hüther hat in unserem Gespräch eindrücklich aufgezeigt, dass echte Verbindung nicht durch Ziele oder Kontrolle entsteht, sondern durch ein gemeinsames Anliegen, durch Offenheit und durch das Zulassen von echter Begegnung.
Doch Verbindung kann nur dort entstehen, wo Menschen sich sicher fühlen. Angst, Leistungsdruck und starre Hierarchien verhindern oft genau das. Unternehmen, die eine Kultur der Verbundenheit schaffen möchten, brauchen mehr als Strategie-Workshops oder Leitbilder – sie müssen Räume gestalten, in denen Menschen sich authentisch begegnen können.
Der Unternehmer-Council ist ein Beispiel für einen solchen Raum, in dem Menschen ihre Gedanken teilen können – ohne Bewertung, ohne Druck, aber mit echtem Interesse füreinander.
Wer tiefer in die Gedankenwelt von Gerald Hüther eintauchen möchte, findet auf seiner Webseite weitere spannende Impulse rund um die Themen Potenzialentfaltung, Gemeinschaft und Veränderung:
➡ www.gerald-huether.de
Verbindung ist keine Technik, sondern eine Haltung. Sie beginnt dort, wo wir ein echtes Interesse am Gegenüber entwickeln – und damit auch an uns selbst.